Herausforderung No. 1 im Change: mangelndes Vertrauen
„Alles Reden ist sinnlos, wenn das Vertrauen fehlt.“ (Franz Kafka)
Mangelndes Vertrauen stellt die größte Herausforderung für Führungskräfte im Change dar. Vertrauen ist dabei nicht nur als Ganzes zu sehen, sondern kann aus vier verschiedenen Perspektiven betrachtet werden: Vertrauen in die eigene Person, Vertrauen in die Mitarbeiter, Vertrauen in die unmittelbare Führungskraft und Vertrauen in die Organisation. Mangelndes Vertrauen stellt sich als das Kondensat vielfältiger Herausforderungen dar, denen sich Führungskräfte im Arbeitsalltag stellen müssen. Gleichzeitig ist Vertrauen zentrale Voraussetzung für die Bewältigung dieser Herausforderungen und damit für die Leistungsfähigkeit von Unternehmen. Ein bewusster Diskurs über soziale Aspekte der Zusammenarbeit und erlebte Spannungsfelder gehört leider nach wie vor nicht zum Alltag von Führungsteams. Die Berichte einzelner Führungskräfte lassen aber erkennen, dass dieser Diskurs einen wichtigen Grundpfeiler für eine konstruktive Bewältigung erlebter Herausforderungen bilden könnte.
Tomma Piltz hat im Rahmen ihrer Masterarbeit im Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie der Bergischen Universität Wuppertal dreizehn qualitative Interviews geführt und mittels Grounded Theory analysiert.
In die Untersuchungsgruppe hat sie Change-erfahrene Führungskräfte der oberen Führungsebenen aus unterschiedlichen Unternehmen und Branchen (u.a. Energie, Bank, Technologie, Transport, Medien, Verband) aufgenommen und zu ihren vorrangigen Herausforderungen in Zeiten stetiger Veränderung und ihren Bewältigungsstrategien befragt.
Ergebnisse der Untersuchung
Die befragten Führungskräfte beschrieben Herausforderungen, welche als Ausprägungen mangelnden Vertrauens verstanden werden können. U. a. schilderten sie folgende Situationen:
Führungskräfte verstehen sich als Einzelkämpfer, obwohl die Komplexität heutiger Veränderungsprozesse ein übergreifendes Zusammenarbeiten erfordert.
Abseits fachlicher Themen gibt es keinen Diskurs über Spannungsfelder im Führungsalltag.
Führungskräfte befinden sich in dem Spannungsfeld, in Zeiten hoher Unsicherheit Orientierung und Stabilität geben zu müssen.
Führungskräfte greifen in den Verantwortungsbereich der Mitarbeiter ein und gewähren ihnen nicht ausreichend Raum und Zeit für die eigene Entwicklung.
Mitarbeiter übernehmen nicht ausreichend Verantwortung.
Führung auf Distanz wird trotz des Einsatzes neuster Technologien als große Herausforderung erlebt.
Führungskräfte erleben sich vor allem als Umsetzer und nicht als Gestalter von Veränderungen.
Die befragten Führungskräfte nannten verschiedene Herausforderungen, die in unterschiedlichen Ausprägungen und Kombinationen zu einem Mangel an Vertrauen führen. Zusammenfassend zählen dazu:
das Fehlen einer offenen und geteilten Führungskultur,
der einseitige Fokus auf wirtschaftliche Ziele,
die Zunahme und Komplexität von Veränderungsvorhaben sowie eine nicht ausreichende Kommunikation über das „Warum“ einer Veränderung,
der Wertewandel hin zu mehr Individualismus,
eine als nicht konsequent erlebte Unternehmensspitze.
Bezüglich des genannten Wertewandels zeigten sich die befragten Führungskräfte ambivalent. Auf der einen Seite empfinden sie es als anstrengend, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mitarbeiter einzugehen. Auf der anderen Seite schätzen sie die Vielfalt und die Möglichkeiten, die sich aus unterschiedlichen Sichtweisen für Problemlösungen ergeben.
Mangelndes Vertrauen erzeugt negative Spannungen
In den meisten Fällen beschreiben die Interviewteilnehmer die Spannungsfelder, welche sich aus den aufgezeigten Aspekten ergeben, als negativ konnotiert. Dies führt zu einem deutlichen Stressempfinden. Zur Bewältigung wählen die einen das Gespräch im privaten Umfeld, andere suchen den Austausch mit Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeitern oder orientieren sich einseitig an den Unternehmenserwartungen. Wieder andere verabschieden sich in die innere Kündigung.
Tomma Piltz hat sich dieses Themas angenommen, weil Dilemma und widersprüchliche Anforderungen zum Alltag vieler Führungskräfte gehören. Dieses Phänomen ist nicht neu, obgleich die Bedeutung eines konstruktiven Umgangs in den Diskussionen deutlich in den Vordergrund gerückt ist. Viele Führungskräfte müssen heute z. B. zeitgleich das Kerngeschäft optimieren und dabei innovativer sein denn je. Das erfordert Ambiguitätstoleranz. Tomma Piltz hat den Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf die persönliche Sichtweise und die subjektive Wirklichkeit von Führungskräften gelegt.
Sie konnte mit ihrer Untersuchung aufzeigen, dass die Bewertung und Bewältigung von Herausforderungen zwar individuellen Dispositionen unterliegt. Es ist jedoch deutlich geworden, dass darüber hinaus der Unternehmenskontext, in dem eine Führungskraft agiert, eine wesentliche Rolle spielt. Der Kontext, wahrgenommen v.a. durch die gelebte Führungs- und Unternehmenskultur, wirkt gleichsam als Filter, vor dem Herausforderungen bewertet und Strategien zur Bewältigung gewählt werden. Das gemeinsame Sichtbarmachen und Besprechen von Spannungsfeldern kann danach nicht nur eine konstruktive Bewältigung fördern und kreatives Potenzial freisetzen, sondern wirkt – so schilderte es eine der Befragten – gleichzeitig unterstützend im Vertrauensaufbau. Die Untersuchungsergebnisse lassen insgesamt in den aktuellen Führungs- und Unternehmenskulturen überwiegend einen Mangel an Vertrauen in den Führungsbeziehungen erkennen. Dieser Mangel verschärft sich durch die Permanenz von Veränderungsvorhaben.
Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle im Vertrauensaufbau
Um das Überleben und die Leistungsfähigkeit ihres Unternehmens zu sichern und gleichzeitig die eigene psychische Balance zu halten, ist es daher notwendig, dass Führungskräfte in den Aufbau von vertrauensvollen Beziehungen und in das eigene Selbstvertrauen investieren. Denn wenn in unsicheren Zeiten Stabilität nicht durch Nicht-Veränderung gewährleistet werden kann, dann trägt Vertrauen – in sich und in andere – wesentlich dazu bei, innere Stabilität trotz äußerer Unsicherheit zu erreichen. Aus dieser Position wäre für die konstruktive Bewältigung von Widersprüchen eine wichtige Voraussetzung geschaffen.
Die Arbeit von Tomma Piltz macht deutlich, dass Führungskräfte aller Ebenen für die Entwicklung von Vertrauen eine Schlüsselrolle spielen. Mitarbeiter beobachten gerade ihre Vorgesetzten sehr genau. Gleiches gilt für Führungskräfte und ihre nächst höhere Führungskraft. Mutige, vertrauende Führungskräfte sind somit ein Schlüsselfaktor für die Qualität der Arbeitsbeziehungen. Sie müssen in dieser Hinsicht in Vorleistung gehen, damit eine neue Kultur der Zusammenarbeit entstehen kann.
Wie können Führungskräfte wirksam Vertrauensbeziehungen gestalten? Interpersonale Ansätze gehen davon aus, so Tomma Piltz, dass Vertrauen durch fortlaufende Interaktion aufgebaut wird. Dadurch bilden sich Routinen aus, die ihrerseits zu einem gestärkten Vertrauen führen. Dauerhaftigkeit und somit Zeit spielen eine wichtige Rolle. So verstanden ist Vertrauen eine rationale Entscheidung, welche als Konsequenz aus gegenseitigem Kennenlernen resultiert. Grundvoraussetzung ist jedoch die Bereitschaft aller Beteiligten, Vertrauen zu geben und damit in Kauf zu nehmen, dass Erwartungen nicht erfüllt werden.
Vertrauensaufbau unterstützen
Welche Gelegenheiten geschaffen werden können, um einen Vertrauensaufbau in Arbeitsbeziehungen zu unterstützen, zeigt Tomma Piltz abschließend in ihren Implikationen für die Praxis. Geleitet von bestehenden Konzepten führt sie aus, wie das Vertrauen in Führungsteams und in der Zusammenarbeit zu Mitarbeitern aufgebaut und entwickelt werden kann.
Führung, so Tomma Piltz, wird oftmals ausschließlich einzelnen Personen zugeschrieben. Die aktuellen Herausforderungen, von denen die befragten Führungskräfte berichten, nehmen jedoch zunehmend eine Form an, bei der die konkrete Zuschreibung von spezifischen Führungsleistungen auf einzelne Personen immer schwieriger wird. Je häufiger Führungskräfte für unbekannte Situationen neue Lösungen finden müssen, desto wichtiger wird die Kompetenz, durch eine gemeinsame Validierung zu einer geteilten Einschätzung zu gelangen. Führung wird daher zwangsweise auch zur Mannschaftsaufgabe. Das gemeinsame Arbeiten an der Weiterentwicklung passender Strukturen und Kommunikationsprozesse, so Tomma Piltz, bietet eine geeignete Plattform für einen Austausch im Führungsteam. Dieser kann über das „Was“ der Arbeitsinhalte hinausgehen und das „Wie“ der Zusammenarbeit integrieren. Die regelmäßige Auseinandersetzung darüber bildet nach Ansicht von Tomma Piltz eine gute Basis, um tragfähige Kooperationen und Vertrauen aufzubauen.
Es ist sicher hinlänglich bekannt, dass Beteiligung ein wesentlicher Faktor für das Gelingen von Veränderungsvorhaben ist. Gleichwohl zeigen auch die Ergebnisse dieser Untersuchung, dass weder Führungskräfte noch deren Mitarbeiter sich ausreichend in Entscheidungsprozesse eingebunden fühlen. Dies verdeutlicht, dass Führungskräfte mit einem „Vertrauensgeschenk“ in Vorleistung gehen müssten. Gelingende Partizipation basiert auf Vertrauen, und zwar sowohl Vertrauen in die positiven Absichten der Beteiligten als auch in ihre Fähigkeiten. Die Aufgabe von Führungskräften besteht also laut Tomma Piltz darin, geeignete Beteiligungsformate zu schaffen, um Mitarbeitende auf allen Ebenen und in allen Phasen von Change aktiv in die Gestaltung der Veränderung einzubinden. Es sollten Gelegenheiten und Räume geschaffen werden, um auch bestehendes Misstrauen anzusprechen. Dies kann beispielsweise durch die Installation eines „Gerüchteboards“ erfolgen.
Als letzten Aspekt greift Tomma Piltz den Vertrauensaufbau durch Dialog auf. Sie führt aus, dass in vielen Unternehmen zahlreiche Trainings zu Kommunikation stattfinden. Trotz dieser Maßnahmen wissen Führungskräfte häufig nicht, wie sie kritische Themen offen ansprechen und gleichzeitig eine gute Arbeitsatmosphäre schaffen können. In den Interviews wurde zudem deutlich, dass Kommunikation noch immer als überwiegend einseitige Informationsweitergabe verstanden wird. Die befragten Führungskräfte sind alle sehr bemüht, ihre Mitarbeiter transparent und umfassend zu informieren. Diese Form der Kommunikation hat sicherlich auch weiterhin ihre Berechtigung, reicht aber nicht aus, wenn z. B. an neuen Lösungen gearbeitet werden muss, so Tomma Piltz. Innovative Lösungen erfordern den Zugang zu kollektiven Gedanken, Erfahrungen und Wissen. Hierbei kann die Etablierung einer Dialogkultur von großer Bedeutung sein. Das Gespräch auf Augenhöhe stellt zudem einen weiteren wichtigen Baustein für die Vertrauensbildung dar.
Vertrauen in der digitalen Welt
Die Frage nach Vertrauen wird in den Unternehmen nach Ansicht von Tomma Piltz zukünftig deutlich zunehmen. Durch den Einsatz digitaler Arbeitsmittel und aufgrund der veränderten Anforderungen künftiger Arbeitnehmergenerationen wird Erwerbstätigkeit zukünftig noch stärker als heute von jedem Ort und zeitunabhängig stattfinden. Zudem ist zu erwarten, dass flexiblere Erwerbsformen als Alternative zum festen Anstellungsverhältnis zunehmen. Eine weitergehende Beschäftigung mit dem Thema sollte sich daher auch mit der Frage auseinandersetzen, wie Vertrauen ohne eine unmittelbare Einbindung in den Alltag von Unternehmen aufgebaut und entwickelt werden kann. Interessante Fragestellungen in diesem Zusammenhang könnten etwa sein: Was ersetzt bzw. ergänzt persönliches Kennenlernen? Wie kann Vertrauen personenunabhängig entwickelt werden?